PTSD
in der Geschichte
Die ersten Veröffentlichungen zu Folgen von Katastrophen gehen
etwa auf das Jahr 1880, insbesondere auf ein Eisenbahnunglück in
den USA zurück. Von 1870 bis 1910 gab es erste Diskussionen um Folgezustände
nach Traumata.
Es gab grundsätzlich zwei Gruppen. Auf der einen Seite „seelenorientierte“
Ärzte wie Freud oder Janet und auf der anderen Seite biologisch
orientierte Wissenschafter wie Oppenheimer. Aber es blieben alle
Fragen offen, ebenso wie die Rolle der Psychologie in der Medizin.
Nach dem 1.Weltkrieg wurde Wagner-Jauregg beschuldigt, sich durch
die Verordnung von (völlig ineffektiven) „galvanischen Strömen“
bei „Kriegszitterern“ vorsätzlich in die Dienste der Kriegstreiber
gestellt zu haben. Sigmund Freud wurde als Gutachter bestellt und
urteilte, dass hier keine böse Absicht, sondern nur Wagner-Jaureggs
mangelndes Wissen über die innerpsychischen Vorgänge als Ursache
vorgelegen hätte.
Zwischen 1910 und 1960 gab es eine Lücke, die geprägt war von zwei
Weltkriegen und unmenschlichen Greueltaten in einer Dimension wie
man sie bis dorthin nicht gekannt hatte. Während in den USA und
GB erste Veteranen-Einrichtungen für Menschen mit „Kriegsneurose“
geschaffen wurden, gab es diese Dinge in Deutschland und Österreich
nicht. Man war mit der Bewältigung des Krieges und seiner Folgen
beschäftigt. Selbst eine gezielte „KZ-Forschung“ fand lediglich
im Zusammenhang mit Rentenverfahren statt. In Osteuropa beschäftigte
man sich mit diesen Themen überhaupt nicht. Aber es zeigte sich
weitgehend Unverständnis. Psychovegetative Labilisierung wurde nicht
als krankheitswertig definiert, psychotische Ausformungen des PTSD
als „Geisteskrankheit“ abgetan – allerdings ohne den Bezug zu erlittenen
Traumata herzustellen. Aus heutiger Sicht gerät man in fassungsloses
Staunen, welch klare Krankheitsbilder selbst von führenden Experten
nicht erkannt wurden. Erst als von Baeyer und Eitinger erstmals
das „Verfolgtensyndrom“ beschrieben wurde begann sich das Dunkel
zu lichten.
Die Psychoanalytiker etwa positionierten sich lange Zeit derart
auf Distanz zu den Opfern, dass sie weder Zugang zu den Patienten
noch zu deren Seele erlangten. Verschiedene Termini wurden kreiert
wie etwa jener des „Sinnverlustes“ von Viktor Frankl., der zwar
selbst in Auschwitz interniert war, aber aufgrund seines eigenen
Traumas daraus die „Sinnsuche“ machte, anstatt ein eigenständiges
Krankheitsbild zu erkennen. Erst als sich hoch dekorierte Vietnamveteranen
beim geringsten schussartigen Geräusch zu Boden warfen und sich
in ihren Heimatorten verhielten, als wären sie noch im Schützengraben,
wurde man auf das Störbild aufmerksam. Bald war klar – Trauma führt
bei scheinbar organisch gesunden Menschen zu schwersten Verletzungen
der Seele.
Dennoch dauerte es bis 1992 ehe die Diagnose „Posttraumatische
Belastungsstörung“ (PTSD) Eingang in die ICD-10 fand (Diagnosekriterien
der WHO). Damit sind wir im Heute angekommen und es muss leider
gesagt werden, dass das Wissen um die PTSD selbst bei FachärztInnen
und – noch schlimmer – selbst bei psychiatrischen Gerichtsgutachtern
geringer als mangelhaft ist. Viele haben es unterlassen, von der
alten ICD-9 Diagnostik auf ICD-10 umzulernen. Die „Rechnung“ dafür
zahlen die Betroffenen. PTSD wird noch immer völlig undifferenziert
als „Psychose“ oder „Anpassungsstörung“ verkannt, obwohl es die
Diagnosen „PTSD“ (F43.1) und „Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung
(F62) gibt.
Der Hintergrund ist, dass das Ausmaß einer traumatischen Belastung
(ähnlich dem Erleben des Schmerzes) individuell und nur schwer messbar
ist. Viele meinen, aufgrund ihrer eigenen „Lebenserfahrung“ autorisiert
zu sein, darüber zu richten, wie sehr ein Erlebnis belasten könnte.
Können sie es nicht nachvollziehen, wird eilig eine (vorbestandene)
prämorbide oder endogene Störung beschworen, anstatt den Tatsachen
ins Auge zu sehen. Auch in der Therapie herrscht eine gewisse Ratlosigkeit,
wenn ausschließlich ein Leitsymptom wie etwa die Depression behandelt
wird, begleitende Psychotherapie aber unterlassen wird. Es ist nicht
Indolenz, sondern Wissensmangel. Und das alles vor dem Hintergrund,
dass die Hirnforschung längst nachweisen kann, das psychische Belastungen
auch zu wohl definierbaren Folgen im Gehirnstoffwechsel führen.
Tatsächlich ist das wachsende Wissen um die PTSD eine große Chance
für die Medizin, endlich den strikten Dualismus von Körper und Seele
aufzugeben und zur Kenntnis zu nehmen, dass körperliches Leid seelische
Ursachen oder seelische Folgen hat, bzw., dass die Interdependenz
beider Aspekte des Menschseins erst den Menschen zum Menschen macht.
Ass
Prof. Dr. Alexander Friedmann
Präsident der ESRA, Univ. Klin. f. Psychiatrie. Leiter der Ambulanz
f. transkulturelle Psychiatrie und migrationsbedingte Störungen
am AKH Wien
1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20 Tel.: 40400-3547, Email: alexander.friedmann@meduniwien.ac.at
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